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UPSIDE DOWN / Theater Titanick / Foto © Metaorange Andreas Matthes
BLACK EURYDICE / kainkollektiv / Foto © Daniela del Pomar
Boyband / notsopretty / Foto © Anna Spindelndreier
DREAM MACHINE / Anke Retzlaff / Foto © Lev Gonopolski
DWDW - Die Sache mit den Bäumen / Armada Theater / Foto © Armada Theater
These are a few of my favorite things / äöü / Foto © äöü
Grandmothers of the Future / Waltraud900 / Foto © Melanie Zanin
Störfall / disdance-project / Foto © Klaus Wohlmann
Praktisch Galaktisch / Daniel Ernesto Mueller / Foto © Heike Kandalowski
The BIG Picture / Fetter Fisch / Foto © Thomas Mohn
Recircling / Yana Novotorova / Foto © Heike Kandalowski
Steinzeit Hautnah / Theater Titanick / Foto © Leon Hirsch
LET’S SING ANOTHER SONG! / POLARPUBLIK / Foto © POLARPUBLIK
back to the roots / Pottporus e.V. Renegade / Foto © Pottporus e.V.
The Soul of the Zeit / PARADEISER / Foto © Hans Diernberger
Sonic Highway / MFK Bochum / Foto © Szenische Forschung
Silke Z. / die metabolisten / Foto © Lucas Aal
Wetland / Katharina Senzenberger / Foto © Nathan Ishar
K.I.T.C.H.E.N. / Marlin de Haan / Foto © Bozica Babic
CAMPING PARAISO / ANALOGTHEATER / Foto © Nathan Ishar
commonnorm / TachoTinta / Foto © Michael Zerban
HELLO TO EMPTINESS / MOUVOIR Stephanie Thiersch / Foto © Martin Rottenkolber
SUITS / Kwarme Osei / Foto © Andreas Roehrig

Was ist Hybride Kunst?

von Günfer Çölgeçen

Das kulturelle Selbstverständnis Nordrhein-Westfalens ist bedingt durch seine Geschichte der Zuwanderung. Die Immigration von Arbeiter*innen, die sozioökonomischen Umbrüche einer ehemals durch die Industrie geprägte Wirtschaft, die Auswirkungen der Globalisierung, die Ankunft geflüchteter Menschen, die vor Krieg und Vertreibung Schutz suchen, zeichnen einen Wandel der soziodemografischen Realitäten.

Theater- und Tanzschaffende, die eigene interkulturelle Projekte initiieren, lassen künstlerische Handlungs-, Begegnungs- und Produktionsräume entstehen. Sie nähern sich dem Thema der Interkulturalität, indem sie sich auf andere Menschen einlassen, die aus anderen Ländern kommen, oder andere Lebensumstände als sie selbst haben. Sie tauschen sich aus, indem sie eine gemeinsame kreative Ebene suchen. Sie müssen ihre eigene Wahrnehmung schärfen, um sich zu „öffnen“. Sie sind motiviert von Ihrer persönlichen künstlerischen Ausgangslage, der sozialen Wirksamkeit ihres Projektes und ihren politischen Haltungen. Diese Ebenen verzahnen sich zu einem hybriden Konstrukt. Man fragt bei dem einen oder anderen Projekt, ob das jetzt ein künstlerisches, soziales oder politisches Handeln ist. Es lässt sich nicht genau differenzieren.

Im Kontext inter- und transkultureller Arbeiten öffnen sie den Kunstraum für geteilte Lebenswelten und eine gelebte Kulturpraxis, setzen sich dabei kritisch mit dem Begriff der Kultur auseinander und beeinflussen den Prozess der „Neubildung von Identitäten durch Aushandlung“. Diesen dynamischen Prozess, der stetigen Konstruktion von Bedeutungen und Zuschreibungen, nennt der Literaturwissenschaftler und Postkolonialist Homi K. Bhabha „die Hybridisierung“.

Zuweilen verhalten sie sich dabei emanzipatorisch, da sie nicht immer die nötige Finanzierung finden oder keine interkulturell geöffneten Orte. Die hohe Qualität einzelner Projekte findet sich nicht nur auf den großen Bühnen der Städte, sondern an den Orten, die ein eigenständiges Arbeiten ermöglichen. Einige Ergebnisse der Arbeiten sind Zwischenstationen, die sich als Work-in-Progress Präsentationen verstehen und „neues“ Publikum generieren.

Zuweilen sind sie auch subversiv. Die Künstler*innen greifen in bestehende Strukturen und Bilder ein. Sie entwerfen andere mediale Bilder, bieten antirassistische Blickrichtungen und ermöglichen eine differenzierende Wahrnehmung auf Unterschiede und Gemeinsamkeiten.

Eine partizipative Kunst, die auf multipler Autorenschaft aufbaut und flüchtige und wertvolle Momente der Begegnung hat, kann nicht immer durch ein Ergebnis festgehalten werden. Sie ist in ihrer Leistung nicht „messbar“. Sich durch partizipative künstlerische Prozesse aktiv als Gestalter transkultureller Perspektiven in Szene zu setzen, ist das bereichernde Potenzial der künstlerischen Akteure*innen, die sich formal, künstlerisch-ästhetisch und pädagogisch in psychosoziale Interaktionsprozesse begeben.

Der Wandel, die Veränderung innerhalb einer Gesellschaft, die sich als zunehmend „bunter“ empfindet, geht von der Annahme aus, dass sie vorher „homogen“ war. Diesem Identitätskonzept, in dem die Homogenität als „Reinheit“ oder „Ursprung“ imaginiert wird, stellt sich das Konzept der Durchdringung, der Vermischung und Hybridisierung entgegen. Hybridisierende Phänomene sind keine Erfindung der modernen Gegenwart, sondern in ihrer zeitlichen und inhaltlichen Entstehungsdimension historisch zu sehen. Ihre Bedeutung für eine Ästhetik, die sich transkulturellen Prozessen öffnet, bewegt sich zwischen den Polen gesellschaftlich kanonisierter Repertoires und Traditionen und der Sichtbarkeit von kulturellen Einflüssen, die sich gegenüber dem „Fremden“ definiert.

In der Auseinandersetzung mit „dem Fremden“ kann sich der künstlerisch Wirkende selbst als fremd wahrnehmen. Neue Eindrücke und das Erleben können einer „Verschiebung“ seines Selbstverständnisses gleichen. Die Prozesse werden nicht immer sofort über den Verstand reflektiert, sondern ereignen sich als Ahnung, als ein Gefühl. In diesen intuitiven Suchprozessen und der Reflexion ist man einer „Veränderbarkeit“ seines Selbstverständnisses unterworfen. Durch die Erfahrung mit Kunst und den Bezug auf sich Selbst wirken künstlerische Praxen als Katalysator für individuelle und kollektive Veränderungsprozesse.

Kunst ermöglicht die Differenz- und dadurch die Heranbildung des eigenen Ichs in dem Austausch mit dem Anderen. In partizipatorischen Prozessen, die in gemeinsamen künstlerisch-ästhetischen Praxen möglich sind, können solche Verschiebungen, transkulturelle Transformationen, stattfinden.

In den kulturellen Praxen macht man soziale Erfahrungen, geht zwischenmenschliche Beziehungen ein, verhandelt soziopolitische Verhältnisse, kommuniziert über eine gemeinsame Thematik, agiert in einer gemeinsamen kreativen Praxis. All das beeinflusst den Prozess der Hybridisierung. Damit wird der gegenseitigen Isolation einzelner Bevölkerungsgruppen entgegengewirkt, und diese wird wünschenswerterweise nicht mehr vorstellbar.

Durch solche Wirksamkeit birgt Kunst in sich das Potenzial gesamtgesellschaftliche Veränderungsprozesse durch Partizipationsprozesse zu beeinflussen.